GAMSBERG - was nun?

Hans Elsässer
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, D69117 Heidelberg

Der Tafelberg in Namibia gehört zu den für Astronomie am besten geeigneten Plätzen auf der südlichen Hemisphäre. Hier folgt ein Bericht über die neueren Bemühungen um seine Nutzung als Standort eines internationalen Observatoriums.

Im Juni 1996 erhielt ich aus Pretoria von Dr. Khoto Mokhele, dem neuen Präsidenten der südafrikanischen Foundation for Research and Development (FRD), einen Brief des Inhalts, seine Regierung habe beschlossen, sich an der Realisierung des gemeinsam projektierten "Internationalen Gamsberg-Observatoriums" (Igo) nicht zu beteiligen. Sie wolle vielmehr ihre begrenzten Mittel auf die Förderung von Wissenschaft und Forschung im eigenen Land konzentrieren; für die Astronomie bedeute das, an dem Standort Sutherland festzuhalten und dessen vorhandene Infrastruktur zu nutzen.

Südafrikanische Pläne

Eine neue leistungsfähige Sternwarte als gemeinsame Anstrengung Südafrikas, Namibias und Deutschlands kam 1992/93 ins Gespräch, nachdem in der Republik Südafrika der Entschluss gefasst war, entscheidende Schritte zugunsten der optischen Astronomie zu unternehmen. Als einziges aktives Zentrum im südlichen Afrika genoss das nationale Observatorium in Kapstadt mit seiner Beobachtungsstation in Sutherland zwar nach wie vor einen weltweit guten Ruf, seine instrumentelle Ausstattung war aber seit langem nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Das ist auch ein Grund dafür, warum die Astronomie Afrikas im Vergleich zu Australien und Südamerika merklich zurückliegt. Schon seit Jahren waren die südafrikanischen Kollegen mit der Planung eines Teleskops der 4-m-Klasse beschäftigt und hatten dazu umfangreiche, ins Detail gehende Studien erarbeitet. Sie dachten an ein Instrument ähnlich dem "New Technology Telescope" (NTT) der Europäischen Südsternwarte (Eso) in Chile. Jetzt ging es um die Verwirklichung dieser Pläne.

Der Gamsberg kam als eventueller Aufstellungsort ins Spiel, da Dr. Michael Feast, der damalige Direktor am Kap, offenbar Vorbehalte gegen Sutherland hatte und nach einem besseren Platz suchte. Ich kannte ihn schon seit vielen Jahren und hatte ihm von den herausragenden Qualitäten des Gamsbergs erzählt, und auch davon, dass das Plateau des Berges von der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) angekauft worden war. Nach einer Ortsbesichtigung im April 1991, gemeinsam mit dem englischen Astronomer Royal Graham Smith, schlug Feast mir vor, in Kontakt mit der FRD, der für die Grundlagenforschung Südafrikas, und damit auch für die Astronomie zuständigen staatlichen Organisation, auszuloten, ob eine gemeinsame Gamsberg-Sternwarte auf den Weg gebracht werden könnte.

Der erste Anlauf

Bei der Gründung des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) Ende der sechziger Jahre waren neben der Zentrale in Heidelberg zwei Observatorien, das eine auf der Nord-, das andere auf der Südhalbkugel vorgesehen. Die Sternwarte für den nördlichen Himmel ist als Deutsch-Spanisches Astronomisches Zentrum auf dem Calar Alto in Andalusien entstanden. Heute arbeiten dort fünf Teleskope mit Öffnungen bis zu 3.5 Metern. Für die Sternwarte auf der Südhalbkugel dachten wir an das südwestliche Afrika, wo die klimatischen Bedingungen im Bereich der subtropischen Hochdruckgürtel zwischen 20 und 40 Grad südlicher Breite besonders günstig sind. Als idealer Platz stellte sich der 2350m hohe Gamsberg heraus, ein Tafelberg mit einem 2.5km langen und bis zu 800m breiten Plateau. Er liegt 120km südwestlich von Windhoek oberhalb der Namibwüste. Dort wurde 1970 eine Station für Testmessungen errichtet, deren Resultate unsere Erwartungen übertrafen. Die Jahreskurve der Bewölkung verläuft komplementär zu derjenigen der chilenischen Eso-Region: Die langen Winternächte von April bis Oktober sind besonders wolkenarm, die jährliche Zahl photometrischer Nächte ist mit ca. 230 fast identisch mit der in Chile. Die extreme Reinheit der Atmosphäre ist nicht nur durch Extinktionsmessungen belegt, sondern auch durch die Erfahrung, dass vom Gamsberg aus die mehr als 100km entfernten Berge bei Windhoek häufig zu sehen sind. Der Nachthimmel ist angesichts der extrem dünn besiedelten Umgebung völlig frei von künstlichem Licht. Seeing-Messungen, an beiden Orten mit denselben Methoden, ergaben für den Gamsberg Werte, die denen von La Silla, dem Eso-Berg, mindestens gleichkommen. Unter dem Eindruck dieser günstigen Daten konnten wir dann alsbald die Hochebene des Gamsbergs, die landwirtschaftlich kaum zu nutzen ist, von dem bisherigen Besitzer, einem Farmer der Umgebung, zu einem günstigen Preis für die MPG erwerben. Dadurch wollten wir auch zu befürchtenden Spekulationen nach Bekanntwerden unserer Pläne zuvorkommen. Ein gewichtiges Handikap des Gamsbergs sei nicht verschwiegen: der schwierige Zugang zum Plateau. Den Fuß des Berges kann man von Windhoek aus in zwei bis drei Stunden über eine der Hauptstraßen des Landes bequem erreichen. Die Hohe zu erklimmen ist weniger leicht. Im ersten Jahr der Testmessungen hat das Dr. Thorsten Neckel viele Male zu Fuß geleistet. Um oben eine kleine Beobachtungsstation mit einem 50-cm-Teleskop und einigen Baracken errichten zu können, ist dann eine schmale, serpentinenreiche "Pad" angelegt worden, die nur mit geländegängigen Fahrzeugen und nicht ohne ein gewisses Risiko zu bewältigen ist. Das konnte nur eine vorläufige Lösung sein. Obwohl der Gamsberg gewiss einer der wenigen exzellenten Plätze ist, die es heute weltweit noch gibt, konnte die geplante Sternwarte nicht verwirklicht werden. Die Politik hat es verhindert, insbesondere der Einspruch der Bundesregierung, die deutsche Investitionen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika im Hinblick auf einschlägige UN-Resolutionen unterbinden wollte. Nach der späteren Gründung Namibias als autonomer Staat waren dann die Chancen für eine deutsche Sternwarte auf dem Gamsberg wegen fehlender Mittel dahin. Das zu jenem Zeitpunkt für den Gamsberg gedachte und bereits fertiggestellte 2.2-m-Teleskop, ein Duplikat des 2.2 auf dem Calar Alto, ging schließlich als Leihgabe zur Eso nach La Silla und tut dort seit 1980 gute Dienste. Die Einzelheiten dieser politischen Querelen, wie auch eine ausführlichere Darstellung der Gamsbergaktivitäten des MPIA, sind meinem 1985 bei der DVA erschienenen Buch „Weltall im Wandel. Die neue Astronomie“ auf den Seiten 275 ff. zu entnehmen.

Das Projekt IGO

Die ersten Treffen im Oktober 1992 mit der FRD in Pretoria und den Kollegen in Kapstadt verliefen vielversprechend; Chancen für eine neue Entwicklung auf dem Gamsberg zeichneten sich ab. Vor allem der damalige FRD-Präsident, Dr. Reinhard Arndt, ließ starkes Interesse an einer internationalen Zusammenarbeit erkennen, nicht allein weil damit die Aussicht bestand, die beträchtlichen Kosten einer modernen Sternwarte auf mehrere Schultern zu verteilen. Ein anderes, ihm nicht weniger wichtiges Motiv schien mir zu sein, durch verstärkte internationale Kontakte der damaligen politischen Isolation Südafrikas entgegenzuwirken. Im Jahr darauf folgte er unserer Einladung auf den Calar Alto, um sich von den Anlagen und dem Betrieb eines modernen Observatoriums ein eigenes Bild zu machen. Das Streben nach politischer Öffnung war wohl mit ein Grund, warum Dr. Arndt mich bat, auf dem UN/ESA-Workshop über „Basic Space Science in Africa“, der 1993 in Lagos stattfand, das Projekt eines internationalen Observatoriums auf dem Gamsberg vorzustellen und andere afrikanische Staaten zur Mitwirkung zu ermuntern.

Selbstverständlich war es besonders wichtig, Namibia mit ins Boot zu holen. Dafür war die namibische Botschafterin in Bonn, Frau Nora Schimming-Chase, eine große Hilfe. Von einem Besuch des Calar Alto wusste sie, um was es ging. Bei sich zuhause hat sie für das Vorhaben geworben und einen Beschluss ihrer Regierung veranlasst, der die neue Gamsberginitiative ausdrücklich begrüßte und jede mögliche Unterstützung zusagte. Für Namibia war die mit einer solchen Einrichtung verbundene internationale Ausstrahlung verlockend. Man versprach sich auch neue interessante Arbeitsplätze für Landeskinder. Das Physik-Department der Universität Windhoek hoffte auf gemeinsame Programme, bei denen seine Studenten High-Tech-Methoden erlernen könnten.

Die Details des Projekts IGO wurden von einer Arbeitsgruppe entworfen, deren Mitglieder für Südafrika der FRD-Vizepräsident, Dr. Gerhard von Gruenewaldt, und der jetzige Direktor der Kapsternwarte, Dr. Bob Stobie, für Namibia Prof. Detlof von Oertzen von der Universität Windhoek, und für das MPIA der Direktor der Calar-Alto-Sternwarte, Dr. Kurt Birkle, und der frühere Institutsbetreuer und Leiter der Rechtsabteilung der MPG, Dr. Günter Preiß, waren. Sie trafen sich 1994 und 1995 mehrmals in Heidelberg, in Windhoek und auf dem Calar Alto. Es ging nicht nur um die Planung der gesamten Anlage, sondern auch um die Kosten, die Organisationsform und, nicht zuletzt, um einen Qualitätsvergleich von Gamsberg und Sutherland.

Das Hauptinstrument sollte entsprechend den Vorstellungen der Kap-Astronomen ein Teleskop der 4-m-Klasse sein. Bei den Kosten war ein nicht zu vernachlässigender Teil für die Infrastruktur vorzusehen. Nach einer schon früher vom MPIA bei der Firma H. Seelenbinder, Windhoek in Auftrag gegebenen Studie musste für eine gut ausgebaute Straße zum Plateau, sowie die Elektrizitäts- und Wasserversorgung mit rund 10 Millionen DM gerechnet werden. Der Betrieb des IGO sollte im wesentlichen in südafrikanischen Händen liegen, wie auch der überwiegende Teil der Beobachtungszeit. Für uns vom MPIA stand nicht im Vordergrund, neue Beobachtungsmöglichkeiten am Südhimmel zu erschließen. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass Deutschland als Mitglied der Eso in Chile bereits mit potentem Instrumentarium Zugang zum Südhimmel hat. Das vorrangige Ziel war vielmehr, den Gamsberg der wissenschaftlichen Nutzung zu öffnen. In meinem Vortrag in Lagos vertrat ich das Konzept eines Wissenschaftsparks, da der Gamsberg nicht allein für die Astronomie attraktiv sei, sondern auch für andere Disziplinen, die auf einen ungestörten Höhenstandort, reine Atmosphäre etc. angewiesen sind. Die deutsche Seite wollte beim Igo vor allem zu den Investitionen beitragen. In dieser Hinsicht war Dr. Horst Skoludek, der frühere Vorstandssprecher von C. Zeiss Oberkochen, ein ganz wichtiger Mitstreiter. Aufgrund seiner vielfältigen Kontakte zu Wirtschaft und Finanzwelt sah er Chancen, Sponsorengelder, inländische wie ausländische, einzuwerben und fand sich bei vielen Vorgesprächen darin bestätigt. Namibia konnte als klassisches Entwicklungsland auf vielerlei internationale Unterstützung hoffen. Die Bundesregierung befürwortete Ende 1995 das Igo-Projekt im direkten Kontakt mit der Regierung in Pretoria, zu diesem Zeitpunkt allerdings ohne finanzielle Zusagen, wollte das jedoch für die Zukunft nicht ausschließen. Seitens Namibias erhofften wir uns Mitwirkung bei den Erschließungs- und Infrastrukturmaßnahmen.

Der Abschlussbericht der IGO-Arbeitsgruppe lag in seiner endgültigen Form im April 1996 vor. Ein umfangreicher Teil waren die im wesentlichen von Dr. Preiß erarbeiteten Entwürfe für die erforderlichen rechtlichen Vereinbarungen, ohne die ein solches komplexes Gebilde weder geschaffen noch am Leben erhalten werden kann. Teilweise waren sie in Anlehnung an die deutsch-spanischen Verträge für den Calar Alto formuliert.

Die wichtigste Aussage war die Empfehlung, das Projekt auf dem Gamsberg zu realisieren, dessen überlegene Qualität als Standort für eine Sternwarte auch von den Südafrikanern anerkannt wurde. Vermutlich spielte dabei Folgendes mit: Schon bei unseren ersten Diskussionen hatten sie mir als ihr Fernziel ein 8-m-Teleskop angedeutet, das man aber nicht in Sutherland aufstellen wolle. Deshalb sei es ratsam, nicht erst dann einen neuen Platz ins Auge zu fassen.

Die Zukunft?

Die eingangs erwähnte brüske Absage aus Pretoria wirkte wie eine kalte Dusche und löste bei den deutschen und namibischen Partnern nicht geringe Verärgerung aus - auch deshalb, weil die südafrikanischen Regierungsstellen von Anfang an über die Intentionen zugunsten des Gamsbergs informiert waren. Die Gründe für den plötzlichen Meinungsumschwung konnten wir nur erahnen. Ein Faktor war gewiss das altersbedingte Ausscheiden von Dr. Arndt als FRD-Präsident und wichtiger Promoter der internationalen Kooperation. Auch mag der inzwischen erfolgte Wechsel des Regimes mit dem Ende der Apartheid und neuen politischen Prioritäten eine Rolle gespielt haben. Eine Chance für die Astronomie des südlichen Afrikas und die Entwicklung Namibias ist so jedenfalls erneut vertan worden. Was nun? Auch wenn gegenwärtig keine konkreten Vorhaben anstehen, wird das Gamsbergplateau weiterhin im Besitz der MPG bleiben. Es könnte in der Zukunft für die Wissenschaft noch von großem Wert sein. In der Vergangenheit sind immer wieder Wünsche laut geworden, dort oben Mess-Stationen zu errichten, für atmosphärische Untersuchungen, zur Registrierung hochenergetischer kosmischer Strahlung und anderes. Die neuerdings gegründete "Spaceguard Foundation" mit Sitz in Frascati hat die Absicht geäußert, vom Gamsberg aus den südlichen Himmel nach bisher unbekannten Asteroiden zu durchmustern, die der Erde gefährlich nahe kommen könnten. Aber auch damit scheint es nichts zu werden. Der schwierige Zugang zum Plateau wirkt abschreckend.

Vor kurzem ist auf Initiative engagierter deutscher Amateurastronomen ein Verein gegründet worden, der auf der Farm Hakos am Fuß des Gamsbergs eine Beobachtungsstation errichten will. Die begehrlichen Blicke gelten aber auch der fast 1000 Meter höher gelegenen Tafelebene. Näheres dazu in einem der nächsten Hefte.


Dieser Artikel wurde veröffentlicht in:
- Sterne und Weltraum 39 [2-3/2000] S. 121ff
- Mitteilungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft Namibia 41 [10-12/2000] S. 18ff